Zeitzeuge der SED-Diktatur war zu Gast an der Ricarda

Etwa 180 Schüler vom 10. bis zum 13. Jahrgang erhielten kürzlich die Gelegenheit, durch einen Vortrag des Zeitzeugen Manfred Casper in der Mehrzweckhalle aus erster Hand zu erfahren, was es bedeutet, unter einer Diktatur zu leben, die den Menschen systematisch ihre Grundfreiheiten beschneidet und übergriffig in den privaten Bereich hineinregiert.

Casper, Jahrgang 1951, der in der Kleinstadt Stollberg im Erzgebirge aufwuchs, habe in seiner Jugend trotz einer prinzipiell schönen Kindheit einen immer stärkeren Freiheitsdrang entwickelt, der ihn schließlich dahin führte, im Rahmen eines Urlaubs in Bulgarien im Jahr 1969 einen waghalsigen Fluchtversuch über die bulgarisch-jugoslawische Grenze zu unternehmen. Dieser misslang jedoch, sodass ein mehrmonatiger, u. a. auch in Isolationshaft zu verbringender Gefängnisaufenthalt folgte, der schließlich durch einen Freikauf durch die Bundesrepublik beendet wurde. Aber auch in seinem zweiten Leben wurde er noch systematisch durch die Stasi bespitzelt.

Eindrücklich berichtete er den Zuhörern von seinen Erfahrungen in der Haft, aber auch von seinen vorherigen Erlebnissen, die ihn nachhaltig prägten. So habe er beispielsweise die rigide Zensur zu spüren bekommen, indem es ihm etwa in der Schule verboten worden sei, den Abenteuerroman „Winnetou“ von Karl May zu lesen. Mitunter seien zudem Menschen aus seinem Umfeld spurlos von einem Tag auf den anderen verschwunden und nie wieder aufgetaucht. Seine Eltern hätten ihn weiterhin bereits als Kind dazu angehalten, nicht außerhalb des Hauses über systemkritische Gespräche bei privaten Feiern zu erzählen, um sich nicht dem Verdacht der Illoyalität gegenüber dem Regime auszusetzen. Schließlich habe er aufgrund häufiger und regelmäßiger Verwandtschaftsbesuche in Westdeutschland, die aufgrund des Mauerbaus im August 1961 nicht mehr möglich gewesen seien, ein immer stärkeres Bestreben in sich gespürt, ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit zu führen, was ihn dazu veranlasste, sein komplettes bisheriges Leben hinter sich zulassen.

Die Schüler waren sichtlich ergriffen von den bewegenden, aber immer auch anekdotenhaften Ausführungen Caspers, wobei sie am Ende noch Gelegenheit bekamen, Fragen zu stellen. Insgesamt half die Veranstaltung erkennbar dabei, unseren Ricardianern ein kritisch-reflektiertes Geschichtsbewusstsein zu vermitteln, indem sie erkannten, dass Menschen in Deutschland vor nicht einmal zwei Generationen zu Opfern eines unterdrückerischen Systems werden konnten und zugleich die immense Bedeutung von Freiheit erfuhren, die heutzutage viel zu oft als selbstverständliches Gut angesehen wird.